Das Einsichtsrecht von Erben und Angehörigen in die ärztliche Dokumentation

Wer hat nach dem Tod des Patienten Anspruch auf Einsicht in die Behandlungsakte?

Über das Einsichtsrecht von Patienten wird viel gesprochen. In der täglichen Praxis werden Sie immer wieder mit einem Ausschnitt dieses Themas konfrontiert: Dem Einsichtsrecht nach dem Tod Ihres Patienten.

Die Herausforderung in dieser Situation ist, dass Sie Ihre – über den Tod hinaus währende – ärztliche Schweigepflicht berücksichtigen müssen.

Der Gesetzgeber hat in § 639 BGB eine Regelung für dieses Spannungsfeld gefunden: Erben und Angehörige Ihres Patienten haben unter gewissen Voraussetzungen einen Anspruch auf Einsicht und mithin haben Sie in diesen Fällen auch das Recht, diesen Personen Einsicht zu gewähren.

Wer ist Erbe bzw. Angehöriger?

Erbe ist, wer durch Gesetz oder letztwillige Verfügung als Erbe eingesetzt wurde. Die reine Behauptung, Erbe Ihres Patienten zu sein, kann aber nicht ausreichen, um Sie von Ihrer Schweigepflicht zu entbinden. Vielmehr muss Ihnen glaubhaft gemacht (bewiesen) werden, dass er/sie Erbe Ihres Patienten ist.

Die Erbenstellung wird dabei grundsätzlich über den Erbschein nachgewiesen. Liegt ein solcher nicht vor, muss im Einzelfall geprüft werden, ob das vorgelegte Dokument ausreichend für den Nachweis der Erbenstellung ist.

Angehöriger sind jedenfalls Ehegatten/Lebenspartner, Kinder, Eltern, Geschwister und Enkel etc. Nicht abschließend geklärt ist, ob beispielsweise auch der Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft ein Einsichtsrecht hat, daher sollte zum aktuellen Zeitpunkt ohne familiäre Beziehung keine Einsicht gewährt werden. Ihrem Patienten steht es aber frei, diesen Personen das Recht auf Einsicht in die Patientenakte einzuräumen.

Warum will der Erbe bzw. Angehörige Einsicht in die Behandlungsdokumentation?

Der Erbe hat nur Anspruch auf Einsicht zum Zweck der Prüfung oder Verfolgung vermögensrechtlicher Interessen. Dabei handelt es sich in der Regel um Ansprüche gegenüber Versicherungen oder um Schadensersatzansprüche gegen Dritte oder Sie. Will ein Erbe also Einsicht in die Krankenakte, um zu wissen was für Krankheiten der Verstorbene hatte, dann besteht kein Einsichtsrecht des Erben.

Unter Umständen kann es sich dabei allerdings um ein Interesse handeln, aufgrund dessen der Erbe Einsicht erhält, wenn er gleichzeitig „Angehöriger“ ist. Dies ist dann der Fall, wenn damit immaterielles Interesse geltend gemacht wird. Ein immaterielles Interesse muss immer im Einzelfall geprüft werden. Bejaht wird es jedenfalls dann, wenn die Person Informationen über ihren eigenen Gesundheitszustand aus der Akte erhalten möchte.

Wann darf/muss ich trotzdem keine Einsicht gewähren?

In der Regel ist nur eine Ausnahme relevant: Dem Einsichtsverlangen steht der (meist mutmaßliche) Wille Ihres Patienten entgegen. Dies dürfen Sie beurteilen, tragen aber im Zweifel auch die Beweislast dafür, dass Ihr Patient nicht gewollt hätte, dass nach seinem Tod Einsicht gewährt wird.

Meine Empfehlung ist: Wenn Sie Anlass haben zu vermuten, dass Ihr Patient nicht will, dass nach seinem Tod seine Erben/Angehörigen Auskunft erhalten, dann fragen Sie ihn und dokumentieren Sie dies. Weiterhin können Rechte Dritter oder therapeutische Erwägungen dem Einsichtsrecht entgegenstehen.

Wenn die gesetzlich vorgesehenen Voraussetzungen vorliegen, dürfen Sie dem Angehörigen oder Erben Ihres Patienten Einsicht gewähren. Einem Einsichtsverlangen können und müssen Sie umgekehrt diese Voraussetzungen aber auch entgegenhalten.

Christian Winter LL.M.

Fachanwältin für Medizinrecht

(Artikel veröffentlicht in der VRMed VR-Bank Würzburg)

 

Zurück